Hochschule Anhalt

Bioanalytik: Wie man das Beste aus Pflanzen und Pilzen holt und vermarktet

Von Claudia Aldinger | 26. Januar 2018

Die Arbeitsgruppe Institute of Bioanalytical Sciences (IBAS) auf dem Bernburger Campus der Hochschule Anhalt ist eine der drittmittelstärksten und forschungsaktivsten Sachsen-Anhalts. Einen Teil ihres Erfolgs verdankt sie der strukturellen Entscheidung für die Etablierung des  Center of Life Sciences als Forschungsinstitut der Hochschule Anhalt und der Rhabarberpflanze.

Bioanalytik an der Hochschule Anhalt

Auf ein Forschungserbe konnte Prof. Ingo Schellenberg jedenfalls nicht zählen, als er Ende 1993 seine Professur an der Hochschule Anhalt antrat. „Es gab ein großes Rhabarberfeld, das war im Grunde alles“, erzählt der studierte Biochemiker und Klinische Chemiker, der vor seiner akademischen Laufbahn an der Hochschule Anhalt unter anderem jahrelang ein Institut für klinische Chemie geleitet hat.

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Das Rhabarberleder

Insofern wusste Prof. Schellenberg auch, dass in der Rhabarberpflanze interessante Inhaltsstoffe stecken, nämlich Polyphenole, die sich auch zur Gerbung von Leder eignen. Und so war sein erstes Forschungsprojekt der Versuch einer partiellen Substitution von Chromsalzen in der Gerberei. Mehr als sechs Jahre förderte das Bundesumweltamt diese Idee und das Ergebnis ist das inzwischen weltweit geschützte und vermarktete Rhabarberleder.

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Millionen Drittmittel

Seitdem haben die Forscherinnen und Forscher um Prof. Schellenberg, heute die Arbeitsgruppe Institute of Bioanalytical Sciences (IBAS), Millionen Euro Drittmittel eingeworben. Aktuell sind es pro Jahr im Durchschnitt bis zu 800.000 Euro. „Daran hatte auch die Rhabarberpflanze ihren Anteil“, erklärt Mario Scharmer, „insbesondere ihre medizinische, antientzündliche Wirkung, welche über zwei Patente vermarktet wird. Heute wachsen hier mehr als 40 verschiedene Rhabarberspezies“, so der langjährige wissenschaftliche Mitarbeiter auf dem Bernburger Campus.

Life Sciences

„Wenn Sie in der Spitzenforschung mitspielen wollen, müssen aber auch die Rahmenbedingungen stimmen“, betont Prof. Schellenberg, der die Arbeitsgruppe Institute of Bioanalytical Sciences (IBAS) leitet. Sie ist eine von 10 Arbeitsgruppen in Bernburg und Köthen des Center of Life Sciences, welches auf die Initiative des Biochemikers vor acht Jahren gegründet wurde und dessen Direktor er heute ist.

Ressourcen und Haushaltsstellen

Dabei ging es ihm nicht nur darum, fachliche oder infrastrukturelle Synergien zu schließen: „Wir brauchten Ressourcen und vor allem Haushaltsstellen, um für bestimmte Schwerpunkte Entlastung zu bringen, also im Bereich Life Sciences zum Beispiel für die Stelle Massenspektrometrie.“ Ein Schritt, der bis heute Wirkung zeigt, denn inzwischen genehmigt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Großgeräte nur noch, wenn dazu drittmittelunabhängige, entsprechend qualifizierte Personen benannt werden.

Fehlendes Personal

Über das „Life Sciences“ wird auch ein altes Problem der (Fach-) Hochschulen gelöst: die im wissenschaftlichen Mittelbau fehlenden, aber für Forschung wichtigen Stellen. Prof. Schellenberg: „Man muss dafür Sorge tragen, dass bestimmte Personen auch bleiben können, wenn ein Projekt ausläuft. Man braucht Möglichkeiten zur Zwischenfinanzierung, über die wir uns gemeinsam mit der Hochschule verständigt haben. Denn wenn die Personen weggehen, fangen sie wieder von vorn an.“

Angewandte Forschung

Von der Spitzenforschung der Arbeitsgruppe Institute of Bioanalytical Sciences zeugen ihre Projekte, Publikationen, Produkte und die qualitative Infrastruktur ihrer Labore. Dabei sind 95 Prozent ihrer Forschung Kooperationsprojekte, das heißt eine Firma hat ein Problem, das gelöst werden muss. Prof. Schellenberg schätzt die Zahl der aktiven Unternehmenskontakte derzeit auf rund 100. „Ich sage immer, ich bin hier der beste Außendienstmitarbeiter.“

„Wenn Sie in der Spitzenforschung mitspielen wollen, müssen aber auch die Rahmenbedingungen stimmen“, betont Prof. Schellenberg, der die Arbeitsgruppe Institute of Bioanalytical Sciences (IBAS) leitet.

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Forscher im Außendienst

Außendienstmitarbeiter in der Forschung? „Ja, natürlich, denn eines ist auch klar: Eine Kooperation gibt es nur, wenn Sie sich vertrauen und miteinander reden. Sie müssen sich kümmern und kümmern bringt persönliche Kontakte“, sagt Prof. Schellenberg, der diese Erfahrung auch in die Gründung des KAT eingebracht hat. Insbesondere die persönlichen Ansprechpartner seien wichtig, um die für Sachsen-Anhalt typischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu mobilisieren.

Bedürfnisse der Unternehmen

„Von der Idee bis zum wissenschaftlichen Ergebnis 1 zu 10, aber von der Idee bis zum Verkauf 1 zu 1000. Das muss man wissen“, rechnet Prof. Schellenberg den Aufwand in der angewandten Forschung vor. Und man muss die Bedürfnisse der Unternehmen kennen. Einige der neusten Projekte seiner Arbeitsgruppe setzen sich mit der Isolierung und Charakterisierung funktioneller Inhaltsstoffe in Pilzen auseinander. Das Ziel ist unter anderem, Alternativen zu Pflanzenschutzmitteln zu finden.

Pflanzenschutz in der EU

Die EU schätzt 80 bis 90 Prozent der aktuell eingesetzten Mittel als toxisch ein und hat den Einsatz ab 2020 verboten. „Wir haben bereits zwei Patente, die sehr viel versprechend sind“, so Prof. Schellenberg. An einem war eine große Pflanzenschutzfirma bereits interessiert, investierte in die Entwicklung, sprang dann aber ab: „So etwas passiert in der Wirtschaft. Aber solche Fälle würden mich nie davon abhalten weiter zu forschen.“

Rhabarber: Von der Pflanze zum Produkt

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Informationen und Kontakt

Zum Center of Life Sciences gehören aktuell diese Arbeitsgruppen der Hochschule Anhalt (Direktor Prof. Dr. Ingo Schellenberg):

Bereich Umwelt- und Pharmabiotechnologie

  • Algenbiotechnologie, Prof. Dr. Carola Griehl
  • Bioverfahrenstechnik, Prof. Dr. Wolfram Meusel
  • Molekulare Biotechnologie, Prof. Dr. Hans-Jürgen Mägert
  • Pharmazeutische Technologie und Qualitätssicherung, Prof. Dr. Bertram Wolf

Bereich Lebensmittel(bio)technologie/Ernährung

  • Lebensmitteltechnologie, Prof. Dr. Thomas Kleinschmidt
  • Lebensmittelverfahrenstechnik, Prof. Dr. Wolfram Schnäckel

Bereich nachwachsende Rohstoffe/Agrarbiotechnologie

  • Institute of Bioanalytical Sciences (IBAS), Prof. Dr. Ingo Schellenberg
  • Energie-Bioprozesstechnik, Prof. Dr. Reinhard Pätz
  • Reproduktionsbiotechnologie, Prof. Dr. Martin Wähner

Die Hochschule Anhalt hat im Jahr 2016 rund 9 Millionen Euro Drittmittel eingeworben, etwa 60 Prozent davon durch das Center of Life Sciences. Die Arbeitsgruppe Institute of Bioanalytical Sciences (IBAS) wirbt jährlich zwischen 600.000 und 800.000 Euro ein.

Aufgrund seines Forschungsschwerpunkts „Life Sciences“ hat die Hochschule Anhalt auch Koordinierungsfunktion in zwei Leitmärkten Sachsen-Anhalts: Ernährung und Landwirtschaft sowie Medizin und Gesundheit

Zudem ist die Hochschule Anhalt über Vertreter des Center of Life Sciences in verschiedenen Unternehmensclustern wie etwa dem Mitteldeutschen Ernährungscluster.

Das Labor der Arbeitsgruppe IBAS umfasst:

  • Hochleistungs-Analysensysteme
  • Mikroskopie
  • Molekularbiologische Systeme
  • Präparative Systeme
  • Probenaufbereitungssysteme

Technologische Anlagen, zu denen u.a. die Extraktionsanlage DIGMAZ-10 gehört, die mit einem in dieser Form weltweit bislang einzigartigen Werkzeug, dem Flüssig-Flüssig-Extraktor, ausgestattet ist.

 

Kontakte:

Prof. Dr. Ingo Schellenberg, Tel.: 03471-3551188, E-Mail: ingo.schellenberg@hs-anhalt.de

M. Sc. Mario Scharmer, Tel.: 03471-3551252, E-Mail: mario.scharmer@hs-anhalt.de

Text und Bilder (soweit nicht anders benannt): Claudia Aldinger

Das KAT-Netzwerk unterstützt den Aufbau der Labore und Kompetenzschwerpunkte der Arbeitsgruppe Bioanalytic Sciences auf dem Bernburger Campus der Hochschule Anhalt seit 2006 im Rahmen des Kompetenzzentrums "Life Sciences" mit verschiedenen weiteren Arbeitsgruppen.