Von Claudia Aldinger | 19. August 2019
Es gibt etwas Neues von den Entwicklern des Rhabarberleders: Aus Extrakten der Rhabarberwurzel haben die Wissenschaftler*innen der Hochschule Anhalt am Institut für Bionanalytical Sciences ein Mittel zur Behandlung von Pilzkrankheiten entwickelt. Als biologisches Pflanzenschutzmittel hat es gute Marktchancen, etwa aufgrund neuer EU-Richtlinien zum Pflanzenschutz, mit denen zum Beispiel auch der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutz (NAP) konform geht. An der letzten Forschungsphase war vor allem die Promovendin Marit Gillmeister beteiligt.
Ja, das stimmt. Allerdings darf man die jahrelange Forschungsarbeit dazu nicht vergessen. Die ersten Untersuchungen zum Rhabarber und zur Möglichkeit, damit Leder zu gerben, gehen bis in die 1990er Jahre zurück. Mit der Forschung von Frau Dr. Kabrodt sind ab den 2000er Jahren dann die antioxidativen, immunmodulatorischen und antiviralen Wirkungen der Rhabarberwurzel mehr in den Fokus gerückt. Infolge des Stachelbeerversuchs konnte Prof. Schellenberg letztlich den Phytopathologen Dr. Baltruschat für sein Team gewinnen, der ab 2011 sein Know-how zur Testung auf antifungale Eigenschaften einbrachte.
Wenn man so will, bin ich der Wirkung auf den Grund gegangen. Dass Polyphenole, wie sie in der Rhabarberwurzel enthalten sind, gegen Schadpilze wirken können, war grundsätzlich bekannt. Jetzt wissen wir, dass in unseren Extrakten ein Substanzgemisch aus Flavonoiden und Stilbenen wie zum Beispiel Resveratrol und Epicatechingallat oder Rhaponticin und Procyanidin B2 entscheidend ist.
Zudem habe ich neben den Laborarbeiten auch Versuche im Freiland ausgewertet und gezeigt, dass sich die Wirksamkeit synergistisch steigern lässt, sich also ein verstärkender Effekt in Kombination mit anderen Mitteln ergibt. Und das bei verschiedenen Pflanzenarten und Pilzerkrankungen.
Der Grundgedanke für den ökologischen Anbau und biologischen Pflanzenschutz wächst und damit auch der Markt für entsprechende Produkte. Zudem schöpfen wir mit dem bisher gewonnenen Rohextrakt die Biokapazitäten aufgrund seiner multiplen Wirkmechanismen besser aus, sodass nicht so leicht Resistenzen entstehen können. Das ist die eigentliche Schwierigkeit bei der Bekämpfung von Pathogenen auf lange Sicht.
Die Patente für antifungale Mittel auf Rhabarber-Basis und das Extraktionsverfahren sind erteilt und es gab auch schon erste Gespräche mit interessierten Firmen, die den Herstellungsprozess in entsprechenden Mengen gewährleisten können. Für die Zulassung eines solchen Mittels wären aber noch weiterführende Tests, z.B. zum Nachweis der Umweltverträglichkeit, notwendig.
Ich werde an der Hochschule Anhalt weiter forschen, allerdings auf anderen Gebieten wie zum Beispiel afrikanischen Heilpflanzen, die für uns ebenfalls sehr interessant sind.
Bei allen möglichen Wirkungen aus pflanzlichen Extrakten stellt sich zweifelsohne immer die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Marit Gillmeister hat Aufwand und Kosten für ein Produkt auf Basis von Rheum-Wurzelextrakten als Pflanzenschutz- bzw. Pflanzenstärkungsmittel ermittelt. Die folgende Darstellung ist ein direkter Auszug aus ihrer Bewerbung zu einem Ideenwettbewerb:
"Ein Produkt auf Basis von Rheum-Wurzelextrakten als Pflanzenschutz- bzw. Pflanzenstärkungsmittel
könnte bei erfolgreicher Umsetzung als kommerziell interessante Ergänzung oder Alternative zu
chemischen Pflanzenschutzmitteln in Biogetreide etabliert werden. Berechnungen ergeben, dass bei
etwa 25.000 Rhabarberpflanzen pro Hektar (0,75 m Reihenabstand; 0,5-0,6 m Pflanzenabstand),
einem Wurzelertrag von 4 kg gereinigter, ungetrockneter Wurzelmasse pro Pflanze nach vier
Vegetationsperioden und einer Ausbeute an EtOAc-Phase von etwa 10 % (bez. auf Wurzeltrockenmasse)
eine spezifische Wirkextraktmenge von 3.400 kg pro Hektar Anbaufläche und Jahr
erzeugt werden könnte (Ausgangsdaten). Berücksichtigt ist dabei ein trocknungsbedingter
Wasserverlust von 66 %. Für die zweimalige Spritzung einer 2.070 ha großen Getreidefläche im Jahr
wären bei einer Einsatzkonzentration von 1000 ppm 0,4 kg Extrakt pro Hektar erforderlich. Daraus
ergibt sich eine erforderliche Rhabarberanbaufläche von 0,24 ha mit einer erforderlichen
Pflanzenanzahl von 6.088 Stück.
Bei Optimierung verschiedener Einflussgrößen (Anbaukosten, Frischwurzelertrag, Extraktionskosten,
Einsatzkonzentration) sind in Getreide bei Einsatzkonzentrationen von z.B. 500 ppm bzw. 1200 ppm
(0,1/0,24 kg Extrakt / ha) spezifische Anwendungskosten von 3,69 € bis 8,85 € pro Anwendung und
Hektar realistisch.*
Die Voraussetzungen für eine mögliche wirtschaftliche Verwertung von antifungalen, protektiv oder
kurativ einsetzbaren Mischpräparaten auf Basis von Rheum-Wurzelextrakten liegen damit vor."
Quelle: Paper zum Ideenwettbewerb Agrar & Ernährung 2019. Autorin: Marit Gillmeister, marit.gillmeister@hs-anhalt.de
* Aktualisierung vom 22.5.2020: Derzeit müssen eher 18 € pro Anwendung und Hektar als ungefährer Wert herangezogen werden (HSA-interne Probenaufbereitung, Extraktherstellung unter Labor-/Kleintechnikumsbedingungen). Es gibt grundsätzlich aber ein hohes Potential, an verschieden Stellen vom Rhabarberanbau (Pflanzung statt empfindliche Saat, Reihen- und Pflanzenabstand, Erntezeitpunkt etc.) bis hin zur Extraktion (Lösungsmittelregime, Sprühtrocknung statt teure Gefriertrocknung) und Formulierung (Zusatz von Adjuvantien à geringere Einsatzkonzentration mgl.) Kosten einzusparen, die erst noch erprobt werden müssten. Danach wäre der günstigere Preis, wie im Paper zum Ideenwettbewerb angegeben, realistisch.
Arbeitsgruppe Institute of Bioanalytical Sciences (IBAS)
Prof. Dr. Ingo Schellenberg
Tel.: 03471-3551188, E-Mail: ingo.schellenberg@hs-anhalt.de
Marit Gillmeister
Tel.: 03471-3551119, E-Mail: marit.gillmeister@hs-anhalt.de
Text und Bilder (soweit nicht anders benannt): Claudia Aldinger
Die Forschungsarbeit von Marit Gillmeister wird durch das KAT-Netzwerk an der Hochschule Anhalt gefördert. Über ihre Arbeit hat sie mit KAT auch schon in anderen Interviews gesprochen, etwa im Rahmen der „Frage an die Wissenschaft: Aus Weiß wird Blau?“