Hochschule Magdeburg-Stendal

Leichtbau mit Composites: Wenn es auf Funktionalität und Wertschöpfung ankommt

Von Claudia Aldinger | 18. November 2019

Seit mehr als zehn Jahren wird an der Hochschule Magdeburg-Stendal aus Composites leicht gebaut: Schienenprüfsysteme, Fahrzeuganhänger, Hydraulikzylinder - anwendbare Lösungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die innovativen Werkstoffe sind in den FuE-Projekten des Industrielabors Funktionsoptimierter Leichtbau nur eine Herausforderung von mehreren.

Hybrider Leichtbau

Herkömmliche Werkstoffe wie Aluminium und Stahl werden zunehmend ersetzt durch faserverstärkte Kunststoffe aus Kohlenstofffasern (CFK) oder Glasfasern (GFK) (Zahlen dazu finden sich etwa bei Statista). Durch die steigende Nutzung etwa in Raum- und Luftfahrt und natürlich Automobilindustrie sind diese Composites inzwischen gut erforscht „Im Grunde können Sie heute alles mit Faserverbundwerkstoffen leicht bauen. Im Wesentlichen kommt es auf die richtige Werkstoffkombination, also das richtige Hybrid, an“, sagt Prof. Jürgen Häberle. Bereits in den 90er Jahren hatte er einen Fahrradrahmen aus Carbonfasern entwickelt und gebaut, mit dem er bis heute fährt. Damals war er noch Ingenieur am Institut für Werkstofftechnik der Universität Kassel, bis er 2006 der Berufung an die Hochschule Magdeburg-Stendal folgte. Ab 2009 widmete sich der Professor für Werkstoff- und Fügetechnik verstärkt dem Aufbau des Industrielabors auf dem Campus und gründete wenig später das Zentrum für Faserverbunde und Leichtbau in Haldensleben (ZFL).

Composites aus Carbon, Glas und Basalt

In dem mit Unterstützung des KAT-Netzwerks entstandenen Industrielabor entwickelte das Team um Jürgen Häberle für die Magdeburger Firma PLR Prüftechnik Linke&Rühe (PLR) ein Schienenprüfsystem mittels verschiedener Leichtbauwerkstoffe weiter. Das Gewicht konnte um rund 30 Prozent reduziert werden bei gleichzeitiger Integration neuer Funktionen. Für Ackermann Fahrzeugbau in Oschersleben entstand im Industrielabor ein Leichtbauanhänger in Mischbauweise aus pultrudierten (also nach dem sogenannten Strangziehverfahren hergestellten) glasfaserverstärkten Kunststoffprofilen (GFK). In Kooperation mit Unternehmen in Tangermünde und Jerichow entwickelten die Ingenieure ein Naturstein-Glasfassadenelement in Leichtbauweise und mit einer Firma in Lübbecke einen Hydraulikzylinder aus Carbonfaser und Aluminium für mobile Anwendungen.

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„Ungeduldigen Forscherkollegen sage ich immer: Das erste Projekt ist wie ein Urknall: Die nächsten Aufträge kommen dann von selbst.“ Prof. Jürgen Häberle

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Betonverstärkung aus Basaltfasern

Eines der innovativsten Produkte des ZFL in Haldensleben ist eine Betonbewehrung aus Basaltfaserverstärktem Kunststoff (BFKV). Mit einer Baufirma in Österreich wurden die Basalt-Stäbe entwickelt, um die aus Stahl gefertigten Verstrebungen zu ersetzen, mit denen üblicherweise Betonbauten stabilisiert werden. Vorteil: Die Basalt-Stäbe sind wesentlich leichter, rosten nicht und besitzen eine etwa vier bis sechs Mal größere Reißfestigkeit. Die Leichtbau-Entwicklung aus dem ZFL bewährt sich bereits in Bauten in Marokko, wo Stahl durch starke Temperaturunterschiede besonders anfällig für Feuchtigkeit und Rost ist. „Entwicklungsbedarf gibt es noch für die Fälle, in denen die Stäbe gebogen werden sollen. Beim Stahl reicht einfach nur Kraft. Bei Basaltfaserverstärktem Kunststoff ist das natürlich nicht so einfach“, erklärt Jürgen Häberle seine neuste Herausforderung.

Innovationen versus wirtschaftliche Zwänge

Dabei sind nicht alle Lösungen so im Einsatz, wie es sich das Team um Jürgen Häberle wünscht: „Das Neue dann tatsächlich zu nutzen, ist für viele Unternehmen ein Kraftakt“, erklärt er. Zum Teil fehle im Alltagsgeschäft die Zeit für die letzten, entscheidenden Tests. Einige Firmen hätten zu wenig wirtschaftliche Kraft, um innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Manchmal sei die Umstellung auf Leichtbau auch eine kulturelle Frage wie bei den Hydraulikzylindern („Ein Hydraulik-Zylinder aus Aluminium und Carbon ist ein Bruch für eine Branche, die immer auf Sicherheit und Massivität gesetzt hat“,  Kornelius Herrmann von MBS Hydraulik im KAT-Newsletter 2/2015.)

Schienenprüfsystem weltweit im Einsatz

Nicht zuletzt mit Geduld siegt das Bessere, Innovativere dann aber doch über seinen sprichwörtlich größten Feind: das Gute. Zum Beispiel im Projekt mit der Magdeburger Firma PLR Prüftechnik Linke & Rühe (PLR). Hier stimmten die Bedingungen für die Durchsetzung einer Innovation: Der Markt forderte ein leichteres, funktionaleres System für die Prüfung von Schienen, was schließlich unmittelbar zur Umsetzung und zum Einsatz des im Industrielabor entwickelten 4-Kanal-Wirbelstromprüfgeräts WPG NT führte. Da PLR seit 2018 zu einer größeren Firmengruppe gehört, kommt das Schienenprüfsystem inzwischen sogar weltweit zum Einsatz und kann mittlerweile auf bis zu 16 Kanälen prüfen.

Idee, Machbarkeit, Prototyp, Fertigung

In dem Projekt mit PLR kümmerte sich das Team des Industrielabors - wie auch in allen anderen Projekten - nicht nur um die Entwicklung des neuen Produkts. „Aus unserer Erfahrung ist nur ein ganzheitlicher Wissenstransfer sinnvoll: Idee, Machbarkeit, Prototyp, Fertigungsprozesse und nicht zuletzt Hilfe bei der Beantragung von Fördergeldern“, erklärt Evelyn Matschuck, die seit vielen Jahren für das Industrielabor arbeitet und insbesondere mit dem Management von FuE-Projekten vertraut ist. Zurzeit wird es aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung gefördert.

Berechnung, Simulation, Konstruktion mit CAD

Diese  Finanzierung ist eine Grundlage dafür, damit das 3-köpfige Team beständig Projekte akquirieren und die Potenziale des Industrielabors ausschöpfen kann: Modellierungen, Berechnungen und Simulationen mit Hilfe Computer-gestützter Konstruktionen (CAD) und numerische Analysen von Strukturen. Oder auch von Strömungs- oder Wärmeleitvorgängen. „Eines unserer Alleinstellungsmerkmale ist die biaxiale servohydraulische Schwingprüfmaschine, mit der die Lebensdauer von Bauteilen geprüft werden kann und für die wir uns insbesondere noch mehr Projekte wünschen“, so Jürgen Häberle, der neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit auch Dekan des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Industriedesign ist.

Composite Netzwerk

Die Anbindung an die Hochschule sichert kurze Wege zu anderen fachlichen Bereichen, um Fragen zu klären, die über den Leichtbau mit Composites hinaus gehen: etwa zum Industriedesign, zum klassischen Leichtbau oder auch zu Naturfaserverbundwerkstoffen, die an der Hochschule ebenfalls erforscht werden. Soll das Problem nicht gleich über ein größeres Projekt gelöst werden, dann lassen sich erste Schritte auch über Machbarkeitsstudien oder im Rahmen von Bachelor- oder Masterarbeiten realisieren. „Wir haben hier vielfältige Möglichkeiten der Zusammenarbeit und unterstützen Unternehmen auch gern mit individuellen Weiterbildungen“, sagt Jürgen Häberle, der in seinem Netzwerk DiCom (Denken in Compositen) regionale Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zusammengeschlossen hat.

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Informationen und Kontakt

Industrielabor Funktionsoptimierter Leichtbau Hochschule Magdeburg-Stendal

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Häberle, juergen.haeberle@h2.de,0391-8864966

Dipl.-Des. (FH) Evelyn Matschuck, evelyn.matschuck@h2.de,0391-8864231

Zur Homepage des Industrielabors 

Text und Bilder (soweit nicht anders benannt): Claudia Aldinger

Das KAT-Netzwerk unterstützt das Industrielabor Funktionsoptimierter Leichtbau seit 2009 insbesondere bei der Akquirierung von Fördermitteln für die Erweiterung der Ausstattung und die Finanzierung von Mitarbeiter:innen.